Rabbi Isaaks Geduld (7. So. i. J. – Mt 5, 38-48)

Rabbi Isaaks Geduld (7. So. i. J. – Mt 5, 38-48)

Rabbi Isaak war von liebenswürdigem und großherzigem Wesen. Noch nie hatte ihn jemand wütend gesehen. Seine Schüler dachten, dass es vielleicht daran läge, dass er noch nie gehörig gereizt wurde. So schmiedeten sie einen Plan und gewannen einen einfältigen Mann für ihren Streich.

Als der Meister im Bethaus mit Gebetsmantel und Gebetsriemen bekleidet im Kreise seiner Schüler betete, stupste dieser Mann ihn von der Seite an und bat um eine Prise Schnupftabak. Dieser unterbrach sein Gebet, gab dem Bittsteller eine Prise und betete unverdrossen weiter. Eine kurze Weile später war der Mann jedoch schon wieder da und wollte noch eine Prise. Der Rabbi bediente ihn geduldig und setzte ohne den leisesten Anflug von Ärger sein Gebet fort. Dieses wiederholte der einfältige Mann noch viele Male, bis der Meister sein Gebet beendet hatte. So sehr die Schüler auch hingeschaut hatten, sie hatten nicht einmal eine Spur von Ungehaltenheit wahrnehmen können.

Wie aber der Rabbi, nachdem er den Gebetsmantel und die Gebetsriemen abgelegt hatte, den Mann zu sich rief, dachten die Schüler, dass nun das Donnerwetter über diesen hereinbrechen würde. Doch der Meister holte ruhig die Tabaksdose hervor und sagte schmunzelnd: „Wie ich gesehen habe, liebst du das Schnupfen mehr als ich. So nimm du die Dose, und wenn ich Lust habe, etwas Tabak zu schnupfen, werde ich einfach zu dir kommen und dich um eine kleine Prise bitten.“

Aus: Öster D. Bünker, Die Güte des Meisters wiegt mehr als ein Berg. Weisheitsgeschichten. Herder Spectrum, Freiburg Basel Wien 1998

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