Unterwegs – wohin? (Ostermontag – Lk 24,13-35)

Unterwegs – wohin? (Ostermontag – Lk 24,13-35)

Ostern ist ein mobiles Fest geworden – ein automobiles, versteht sich. Immer mehr Menschen sind in diesen Tagen unterwegs, suchen das Weite. Keine Staumeldung kann sie davon abhalten. Manchem mag es so gehen, wie der amerikanische Schriftsteller John Updike beschreibt: „Der größte Teil des amerikanischen Lebens besteht darin, dass man irgendwohin fährt und wieder zurück und sich fragt, warum zum Teufel man eigentlich gefahren ist.“ – Warum fahren wir? Wohin geht die Reise, nicht nur heute und morgen, sondern überhaupt? Da, bei dieser Frage, holt uns das Evangelium ein.

Gekreuzigte Hoffnung

Zwei Jünger sind unterwegs. Geschlagene Leute! Sie lassen den Kopf hängen und sehen die Sonne nicht mehr. Von Ostern keine Spur. Für sie ist am Ostertag noch nicht Ostern geworden. Sie gehen weg von dort, wo das Kreuz stand, weg von dort, wo ihre Zukunftspläne platzten, wo sie ihre Hoffnung begraben haben. Mit anderen Worten: Sie verlassen die Gemeinde, sie treten aus.

Die Geschichte mit Jesus ist für sie passé. Sie wissen zwar noch zu erzählen, was er alles gesagt und getan hat: „Er war ein Prophet, mächtig in Wort und Tat vor Gott und dem ganzen Volk“. Sie wissen alles, was man von Jesus wissen kann; aber sie können nur traurig davon erzählen. Was sie von den anderen Jüngern sagen, das trifft auch für sie zu: „Ihn selbst aber sahen sie nicht“. „Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube“, sagt Goethes Faust auf seinem Osterspaziergang.

Was den beiden Jüngern das Herz so schwer macht? Sie sagen es frei heraus: Sie haben auf Jesus gesetzt, von ihm das Heil erwartet. Und nun ist er schmählich gescheitert am Kreuz. Das ist der Punkt, über den sie nicht wegkommen, der tote Punkt. Wer so elend endet, kann doch nicht auf Seiten Gottes stehen. Ohnmacht in der Gotteserfahrung, im kirchlichen Alltag, im persönlichen Leben. Oft genug sind wir dann mit Gott und der Kirche oder auch mit uns selbst überkreuz und machen uns schließlich aus dem Staub: weg, weit weg. Ja nichts mehr davon sehen, ja nichts mehr davon hören. Immerhin gehen die Jünger zu zweit und sprechen über ihre Enttäuschungen. Das unterscheidet sie von vielen, die heute lautlos abwandern.

Der Dritte im Bunde

Während die zwei niedergeschlagen und enttäuscht ihren Weg gehen, „kam Jesus hinzu und ging mit ihnen“. Keine umwerfende Erscheinung, kein spektakulärer Auftritt, sie erkennen ihn zunächst gar nicht. Sie sind wie mit Blindheit geschlagen – wie unsereins oft genug. Sie müssen ihn neu kennenlernen. Der unbekannte Dritte fragt, hört zu, bringt zum Nachdenken. – Er verweist auf die Heilige Schrift, erschließt ihnen von dorther neue Perspektiven in ihrer Ratlosigkeit, öffnet ihnen die Augen.

Muss das nicht so sein? Wer so wie Jesus gegen das Leiden kämpft, der bekommt es am eigenen Leib mit dem Leiden zu tun. Der Arzt wird selbst verwundet. So will Gott die Wunden der Menschheit heilen, indem er sie selbst durchleidet. Der Gott, an den wir glauben, geht nicht an den Wunden der Welt vorbei, er trägt sie selbst und hat gerade dadurch die Kraft, sie zu heilen.

Das ist nicht im Handumdrehen nachzuvollziehen. Wandern gewährt Zeit. Jesus geht den langen Weg der beiden Jünger mit, durch das Tal ihrer Hoffnungslosigkeit. In den entscheidenden Fragen des Glaubens und Lebens gibt es keine Abkürzungen. Da muss man sich Zeit lassen und Geduld haben mit sich und den anderen – die Eltern mit den Kindern. Es ist tröstlich zu wissen, dass man Jesus nicht erst am Ende des Weges trifft, sondern schon unterwegs.

Beim Brotbrechen

Der Weg ist lang, bis es dämmert. Der Abend bricht an, noch nicht der Morgen. „Bleib doch bei uns…“, drängen die beiden Jünger; man kann’s nur allzu gut verstehen. Der Abend ist mehr als eine Tageszeit. Die Dunkelheit bricht ein. Wer die Nacht des Lebens kennt, wer erfahren hat, dass es finster aussieht, wer weiß, dass die Zeit zu Ende geht, der ahnt, was hier gemeint ist. Dann eingeladen zu sein ins Haus, an den Tisch – das ist wie ein Geschenk des Himmels. „Da ging er mit ihnen hinein, um bei ihnen zu bleiben“.

Und er, der Fremde, „nahm das Brot, sprach den Lobpreis, brach das Brot und gab es ihnen“. Da fällt es ihnen wie Schuppen von den Augen, und sie erkennen ihn. Jesus schenkt sich ihnen in der Mahlgemeinschaft. Zweimal wird’s gesagt, dass jeder es merkt: Das Brotbrechen, das Teilen des Lebens ist das Geschehen, in dem Jesus erkannt wird. Da gehen die Augen auf und das Herz. Da wandelt sich im Namen Jesu nicht nur das Brot. Da wandeln sich die müden, bleiernen Herzen zum brennenden Herzen: „Brannte uns nicht das Herz in der Brust…“.

Haus, Tischgemeinschaft – „Bleib doch bei uns“. Da könnte man sich häuslich niederlassen. Aber Emmaus ist nur eine Station auf dem Wege. Wenn man angesteckt ist und wenn das Herz brennt, dann gibt es nichts Wichtigeres, als aufzubrechen. „Noch in derselben Stunde brachen sie auf…“. Sie eilen zu den anderen. Und was sie dort hören, können sie selbst bezeugen: „Der Herr ist wirklich auferstanden“, er lebt! Licht in der Nacht! Ungeahnte Horizonte tun sich den Wanderern auf für ihren Lebensweg.

Man kann sich heute leicht aus dem Staub machen, aber dann fragt man sich schließlich, warum zum Teufel man überhaupt aufbricht und unterwegs ist. Jeder mag darauf achten, dass ihm das Wort nicht ausgeht, das seinem Leben Richtung gibt, dass ihm das Brot unterwegs nicht ausgeht, das gebrochene Brot, von dem wir leben. Das ist das Erkennungszeichen für Jesus. Das schenkt uns die Gewissheit: Jesus lebt.

Bischof Franz Kamphaus

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