Mit dem Weltgebetstag am 1. September beginnt eine rund fünfwöchige kirchliche Aktionszeit zur Bewahrung der Schöpfung, die am 4. Oktober, dem Fest des heiligen Franziskus, endet. Sie geht auf eine Initiative des Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, Bartholomaios I., zurück. Papst Franziskus griff die Idee auf und führte 2015 einen katholischen Gebetstag ein, um jedes Jahr aufs Neue JA zu sagen, „Beschützer des Werkes Gottes“ zu sein.
In der Botschaft des Papstes zum Weltgebetstag für die Bewahrung der Schöpfung 2022 klingen die „bitteren Schreie“ eines Planeten an, der „stöhnt und uns anfleht, unseren Missbrauch und seine Zerstörung zu beenden“. Der Text erneuert den Aufruf zu einer echten „ökologischen Umkehr“, die die gesamte „Gemeinschaft der Nationen“ einbezieht, auch im Hinblick auf die beiden wichtigen Termine, die zwischen November und Dezember anstehen: der Klimagipfel Cop27 und der Biodiversitätsgipfel Cop15.
Der Schrei eines kollabierenden Planeten
In diesem Zusammenhang erneuert der Papst seinen Appell an die „großen Bergbau-, Erdöl-, Forstwirtschafts-, Immobilien- und Lebensmittelkonzerne“ und fordert sie auf, „die Zerstörung von Wäldern, Feuchtgebieten und Bergen, die Verschmutzung von Flüssen und Meeren und die Vergiftung von Menschen und Lebensmitteln zu beenden“. Im Folgenden veröffentlichen wir die Botschaft von Papst Franziskus im Wortlaut.
Liebe Brüder und Schwestern,
„Höre auf die Stimme der Schöpfung“, so heißt das Thema und die Einladung zur diesjährigen Zeit der Schöpfung. Die ökumenische Zeitspanne beginnt am 1. September mit dem Weltgebetstag für die Bewahrung der Schöpfung und endet am 4. Oktober mit dem Fest des heiligen Franziskus. Es ist eine besondere Zeit für alle Christen, um gemeinsam zu beten und für unser gemeinsames Haus Sorge zu tragen. Ursprünglich vom Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel inspiriert, ist diese Zeit eine Gelegenheit, unsere „ökologische Umkehr“ zu kultivieren, eine Umkehr, die vom heiligen Johannes Paul II. als Antwort auf die vom heiligen Paul VI. bereits 1970 vorausgesagte „ökologische Katastrophe“ gefördert wurde.
Wenn wir lernen, auf sie zu hören, bemerken wir eine Art Dissonanz in der Stimme der Schöpfung. Auf der einen Seite ist es ein süßes Lied, das unseren geliebten Schöpfer preist, auf der anderen Seite ist es ein bitterer Aufschrei, der unsere menschliche Misshandlung beklagt.
Der süße Gesang der Schöpfung lädt uns ein, eine „ökologische Spiritualität“ (Enzyklika Laudato si‘, 216) zu praktizieren, die auf die Anwesenheit Gottes in der Natur achtet. Es ist eine Einladung, unsere Spiritualität auf das „liebevolle Bewusstsein [zu gründen], nicht von den anderen Geschöpfen getrennt zu sein, sondern mit den anderen Wesen des Universums eine wertvolle allumfassende Gemeinschaft zu bilden“ (Laudato si‘, 220). Insbesondere für die Jünger Christi verstärkt eine solche erhellende Erfahrung das Bewusstsein, dass „alles […] durch das Wort geworden [ist] und ohne es wurde nichts, was geworden ist“ (Joh 1,3). In dieser Zeit der Schöpfung sollten wir das Gebet in der großen Kathedrale der Schöpfung wieder aufnehmen und uns an dem „großartigen kosmischen Chor« der unzähligen Geschöpfe erfreuen, die Gott loben. Schließen wir uns dem heiligen Franziskus von Assisi an und singen wir: „Gelobt seist Du, mein Herr, mit allen Deinen Geschöpfen“ (vgl. Sonnengesang). Singen wir gemeinsam mit dem Psalmisten: „Alles, was atmet, lobe den Herrn!“ (Ps 150,6).
Leider wird dieses süße Lied von einem bitteren Aufschrei begleitet. Oder besser gesagt, durch einen Chor von bitteren Schreien. Zunächst ist es Schwester, Mutter Erde, die schreit. Unseren Konsumexzessen ausgeliefert, stöhnt sie und fleht uns an, unseren Missbrauch und ihre Zerstörung zu beenden. Dann sind es die verschiedenen Geschöpfe, die aufschreien. Ausgeliefert an einen „despotischen Anthropozentrismus“ (Laudato si‘, 68), diametral entgegengesetzt zur Zentralität Christi im Schöpfungswerk, sterben unzählige Arten aus und hören für immer auf, Gott zu preisen. Aber es sind auch die Ärmsten unter uns, die aufschreien. Die Armen, die der Klimakrise ausgesetzt sind, leiden am stärksten unter den Auswirkungen von Dürren, Überschwemmungen, Wirbelstürmen und Hitzewellen, die immer intensiver und häufiger werden. Und weiterhin schreien unsere Brüder und Schwestern der indigenen Völker auf. Wegen räuberischer Wirtschaftsinteressen werden ihre angestammten Gebiete von allen Seiten angegriffen und verwüstet, und sie stimmen „eine himmelschreiende Klage“ an (Nachsynodales Apostolisches Schreiben Querida Amazonia, 9). Schließlich schreien unsere Kinder auf. Bedroht durch kurzsichtigen Egoismus, fordern die Jugendlichen uns Erwachsene angsterfüllt auf, alles zu tun, um den Zusammenbruch der Ökosysteme unseres Planeten zu verhindern oder zumindest zu begrenzen.
Wenn wir diese bitteren Aufschreie hören, müssen wir Buße tun und schädliche Lebensweisen und Systeme ändern. Der Aufruf des Evangeliums „Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe“ (Mt 3,2), der zu einer neuen Beziehung zu Gott einlädt, bringt auch eine veränderte Beziehung zu den anderen und zur Schöpfung mit sich. Der Zustand der Zerstörung unseres gemeinsamen Hauses verdient die gleiche Aufmerksamkeit wie andere globale Herausforderungen wie schwere Gesundheitskrisen und kriegerische Konflikte. „Die Berufung, Beschützer des Werkes Gottes zu sein, praktisch umzusetzen, gehört wesentlich zu einem tugendhaften Leben; sie ist nicht etwas Fakultatives, noch ein sekundärer Aspekt der christlichen Erfahrung“ (Laudato si‘, 217).
Als gläubige Menschen fühlen wir uns noch mehr verpflichtet, in unserem täglichen Verhalten dieser Aufforderung zur Umkehr nachzukommen. Aber sie ist nicht nur individuell: „Die ökologische Umkehr, die gefordert ist, um eine Dynamik nachhaltiger Veränderung zu schaffen, ist auch eine gemeinschaftliche Umkehr“ (Laudato si‘, 219). In dieser Hinsicht ist auch die Staatengemeinschaft aufgerufen, sich insbesondere bei den UN-Tagungen, die sich mit Umweltfragen befassen, im Geiste größtmöglicher Zusammenarbeit zu engagieren.
Der COP27-Klimagipfel, der im November 2022 in Ägypten stattfinden wird, stellt die nächste Gelegenheit dar, um gemeinsam eine wirksame Umsetzung des Pariser Abkommens zu fördern. Auch aus diesem Grund habe ich kürzlich veranlasst, dass der Heilige Stuhl im Namen und im Auftrag des Staates der Vatikanstadt dem UN-Rahmenübereinkommen über den Klimawandel und dem Pariser Abkommen beitritt, in der Hoffnung, dass die Menschheit des 21. Jahrhunderts „in die Erinnerung eingehen kann, weil sie großherzig ihre schwerwiegende Verantwortung auf sich genommen hat“ ( Laudato si‘, 165). Die Erreichung des Pariser Ziels, den Temperaturanstieg auf 1,5°C zu begrenzen, ist eine große Herausforderung und erfordert die verantwortungsvolle Zusammenarbeit aller Nationen, anspruchsvollere Klimapläne oder national festgelegte Beiträge vorzulegen, um die Netto-Treibhausgasemissionen so schnell wie möglich auf Null zu reduzieren. Es geht darum, die Konsum- und Produktionsmuster sowie die Lebensstile in Hinblick auf einen achtsameren Umgang mit der Schöpfung und der ganzheitlichen menschlichen Entwicklung aller gegenwärtigen und künftigen Völker „umzuwandeln“, eine Entwicklung, die auf Verantwortung, Umsicht/Vorsicht, Solidarität und Sorge um die Armen und künftigen Generationen beruht. Dem Ganzen muss der Bund zwischen dem Menschen und der Umwelt zugrunde liegen, der für uns Gläubige Spiegel „der Schöpferliebe Gottes sein soll – des Gottes, in dem wir unseren Ursprung haben und zu dem wir unterwegs sind“. Der durch diese Umstellung herbeigeführte Wandel darf die Forderungen nach Gerechtigkeit nicht vernachlässigen, vor allem nicht für diejenigen, die von den Auswirkungen des Klimawandels am meisten betroffen sind.
Der COP15-Gipfel zur biologischen Vielfalt, der im Dezember in Kanada stattfindet, wird seinerseits den Regierungen die Gelegenheit bieten, ein neues multilaterales Abkommen zu schließen, um die Zerstörung der Ökosysteme und das Artensterben zu stoppen. Nach der alten Weisheit der Jubeljahre brauchen wir eine Zeit „des Erinnerns, der Umkehr, des Ruhens, der Wiederherstellung und der Freude“. Um den weiteren Zusammenbruch des „Netzes des Lebens“ – der biologischen Vielfalt -, das Gott uns geschenkt hat, aufzuhalten, bitten wir und rufen die Nationen auf, sich auf vier Schlüsselprinzipien zu einigen: 1. eine klare ethische Grundlage für den Wandel schaffen, den wir brauchen, um die biologische Vielfalt zu retten; 2. den Verlust der biologischen Vielfalt bekämpfen, ihre Erhaltung und Wiederherstellung unterstützen und die Bedürfnisse der Menschen auf nachhaltige Weise erfüllen; 3. Förderung der weltweiten Solidarität angesichts der Tatsache, dass die biologische Vielfalt ein globales Allgemeingut ist, das ein gemeinsames Engagement erfordert; 4. Menschen in Situationen der Schwäche in den Mittelpunkt rücken, einschließlich derjenigen, die am stärksten vom Verlust der biologischen Vielfalt betroffen sind, wie indigene Völker, ältere Menschen und junge Menschen.
Ich wiederhole: „Ich möchte im Namen Gottes die großen Bergbau-, Erdöl-, Forst-, Immobilien- und Agrarunternehmen auffordern, mit der Zerstörung von Wäldern, Feuchtgebieten und Bergen, der Verschmutzung von Flüssen und Meeren und der Vergiftung von Menschen und Lebensmitteln aufzuhören“.
Man kann nicht umhin, die Existenz einer „ökologischen Schuld“ (Laudato si‘, 51) der wirtschaftlich reicheren Nationen anzuerkennen, die in den letzten zwei Jahrhunderten am meisten verschmutzt haben; diese verlangt von ihnen, sowohl auf der COP27 als auch auf der COP15 anspruchsvollere Schritte zu unternehmen. Das bedeutet, dass sie nicht nur innerhalb ihrer eigenen Grenzen entschlossen handeln, sondern auch ihre Zusagen zur finanziellen und technischen Unterstützung der wirtschaftlich ärmeren Länder einhalten, die bereits die größte Last der Klimakrise tragen. Weitere finanzielle Unterstützung für die Erhaltung der biologischen Vielfalt sollte ebenfalls dringend erwogen werden. Auch die wirtschaftlich weniger wohlhabenden Länder haben eine erhebliche, aber „diversifizierte“ Verantwortung (vgl. Laudato si‘, 52); die Verspätungen der anderen können niemals die eigene Untätigkeit rechtfertigen. Wir müssen handeln, wir alle, und zwar mit Entschlossenheit. Wir gelangen gerade zu einem „Bruch“ (vgl. Laudato si‘, 61).
Lasst uns in dieser Zeit der Schöpfung dafür beten, dass die Gipfeltreffen COP27 und COP15 die Menschheitsfamilie vereinen (vgl. Laudato si‘, 13), um die doppelte Krise des Klimas und der Verringerung der biologischen Vielfalt entschlossen anzugehen. Erinnern wir uns an die Aufforderung des heiligen Paulus, uns mit denen zu freuen, die sich freuen, und mit denen zu weinen, die weinen (vgl. Röm 12,15), und weinen wir mit dem bitteren Aufschrei der Schöpfung, hören wir ihn an und antworten wir mit Taten, damit wir und künftige Generationen uns weiterhin mit dem süßen Lied der Geschöpfe vom Leben und von der Hoffnung freuen können.
Papst Franziskus