25 Minuten sind seit dem letzten Pfiff dieses endlosen Zuges mit 300 Waggons und einer Länge von vier Kilometern vergangen, und jetzt kommt schon wieder ein neuer an. Je mehr Zeit vergeht, desto mehr Aufmerksamkeit schenken wir ihm. Von unserem Haus aus ist das Geräusch des Zuges in der Ferne wahrnehmbar, während in der Stadt das Rattern der Bahnlinie, die über die Köpfe der Einwohner hinweg verläuft, deutlicher zu hören ist.
Der Wert der Mineralien, die täglich auf ihr transportiert werden, entspricht Millionen von Dollar. Rücksicht auf diejenigen, die versuchen, mit nur fünf Dollar am Tag zu überleben, nimmt niemand. Die Geschichte von Piquiá reicht fast sechzig Jahre zurück. Der Ort wäre ein kleines Paradies, aber im Jahr 1985 begann sein Niedergang, als die vom Bergbaugiganten Vale S.A. gebaute Eisenbahn eingeweiht wurde. Dies bedeutete den Transport von Eisen aus der riesigen Lagerstätte in der Serra do Carajás, einer der größten Minen der Welt, in die entfernte Stadt São Luís.
Dabei handelt es sich um 900 Kilometer Schienen, die jeden Tag nonstop für den Export von Mineralien in die ganze Welt befahren werden. Unser Haus liegt ein paar hundert Meter von Piquiá de Baixo entfernt. Wir heißen Gabriele und Anna, zwei 30-Jährige, die sich entschieden haben, als Comboni-Laienmissionarinnen nach Brasilien zu gehen, um sich an der Missionstätigkeit der Comboni-Familie von Açailândia im Bundesstaat Maranhão zu beteiligen. Auf Pfarreiebene sind wir an zahlreichen Aktivitäten beteiligt, und wir teilen Momente des Gebets und der Arbeit mit den Comboni-Missionaren.
Weniger als zwei Kilometer von unserem Haus entfernt gibt es eine Zementfabrik (Cimento Açai) und zwei eisenverarbeitende Betriebe (AVB – Aço Verde do Brasil und Viena Siderurgica S.A.), die beide von Vale S.A. mit Eisen beliefert werden. Piquiá ist eine Stadt, die allmählich entvölkert wurde; aber nach zwanzig Jahren des Kampfes und des ewigen Wartens steht sie vielleicht an einem Wendepunkt in ihrer Geschichte. Es sieht so aus, als ob die Familien, die bisher unter den negativen Folgen der um ihr Leben herum errichteten Eisenunternehmen gelitten haben, in ein neues Viertel umziehen könnten, das nach langem Kampf mit Hoffnung erobert wurde: Piquiá da Conquista.
Unser Viertel liegt nicht weit entfernt und leidet unter den gleichen Beeinträchtigungen wie Piquiá de Baixo. Die Eisenhütten sind nämlich Tag und Nacht in Betrieb, was schwarze Dämpfe erzeugt, Lebensmittel, Kleidung und alles andere mit Staub bedeckt und oft unheilbare Atemwegserkrankungen, Tumore und andere Leiden verursacht. Die Wunden dieses Landes reichen jedoch noch tiefer. Die so genannte Landflucht, die durch die Ansiedlung von Soja- und Eukalyptusmonokulturen verursacht wird, steigert sich in einer Landschaft, die es den Kleinbauern wegen des Versprühens von Pestiziden aus der Luft nicht mehr ermöglicht, von den Erzeugnissen ihres Landes zu leben.
Es geht um das Leben und die Geschichten junger Menschen, die nur eine einzige Alternative zum Überleben haben: in der Stahlindustrie oder auf den Sojafeldern zu arbeiten und so zu Rädchen in einer Maschine zu werden, die die oben genannten negativen Bedingungen verursacht. Das Leben hier lehrt uns gleichzeitig, das Leid zu beobachten, dem sich die Bewohner mit großer Widerstandsfähigkeit entgegenstellen, und daraus zu lernen. Diejenigen, die in Piquiá oder im Umland leben, geben angesichts dieser Situation nicht auf, sondern kämpfen weiter für ihre Rechte, indem sie eine neue Geschichte schreiben, ohne ihre Wurzeln aufzugeben. Es gibt Geschichten des Widerstands gegen Giganten, die Teil eines Systems sind, das uns alle betrifft.
Auch nach der anstehenden Einweihung von Piquiá da Conquista werden die Stahlwerke weiterhin die Luft in der Umgebung verschmutzen, wie es schon seit vierzig Jahren der Fall ist; in den ländlichen Gebieten werden die Menschen weiterhin gegen ein Agrar- und Ernährungssystem kämpfen, das die Umwelt zerstört. Hier haben wir uns zu den Menschen begeben, um sie kennen zu lernen und sie in diesem Kampf zu unterstützen.