Ich wünsche mir, dass ich am Ende meines Lebens sagen kann: „Herr, in deine Hände lege ich mein Leben.“ Mehr brauchen wir am Ende eigentlich nicht zu wissen, das genügt als Summe des Lebens.
Manchmal geht mir ein verrückter Gedanke durch den Kopf. Ich stelle mir vor: Was wir singen und beten, das passierte – tatsächlich! Wir rufen: „Komm, Herr Jesus, komm!“ – und er kommt, hier in unsere Mitte. Er ist da. Was dann? Ich weiß gar nicht, ob uns das so lieb ist, dass er kommt. Bedenken wir überhaupt, worauf wir uns da einlassen mit dem „Komm, Herr Jesus“? Oder ist es uns gar nicht so ernst damit? Vielleicht sagen wir besser: Warte nur, so eilt’s nicht. Wir kommen schon noch zurecht. Oder wir sagen mit Dostojewskis Großinquisitor: „Warum bist du denn überhaupt gekommen? Störe uns wenigstens nicht vor der Zeit. Geh weg und komm nicht mehr wieder … Komm überhaupt nicht mehr wieder! Niemals, niemals!“
Komm, Herr Jesus! – Komm ja nicht wieder! Das sind wir, das ist unser Glauben, unser Hoffen. Hin und her geht der Ruf: Komm, Herr Jesus! – Komm ja nicht wieder! Dafür – dagegen, pro und contra. Manchmal eher: Komm! Manchmal eher: Komm ja nicht wieder! Beides ist in uns, dicht beieinander, der eine Ruf gegen den anderen. Das sind wir, das ist unsere Welt.
Manchmal begegne ich Menschen, die daheim noch Heimweh haben, die vom Brot allein nicht satt werden, die die Hoffnung nicht aufgeben, den zu finden, der sie begeistern kann, der die Langeweile tötet und den Betrieb entlarvt. Komm, Herr Jesus!
Manchmal treffe ich Menschen, die vom Leben nichts mehr zu erwarten haben – nur den Tod – und die doch noch etwas erwarten, die alles erwarten, nicht vom Tod, sondern von Christus.
Ich begegne Menschen, deren Erwartung nicht in ihrer eigenen Welt aufgeht und verdunstet; die lieber mit großen Hoffnungen hungern und dürsten, als sich mit Banalitäten volllaufen und begraben zu lassen; Menschen, die mehr erwarten als sich selbst, deren Erwartung nicht an den Grenzen unserer Zeit erlischt, die für unsere Zeit, für unsere Welt etwas erwarten; Menschen, die tatsächlich etwas von Jesus erwarten und daraufhin ihr Leben ändern, die sich von Jesus nicht nur etwas für sich erhoffen, sondern für andere, für die Welt; Menschen, die darauf warten, dass er die Tränen der Weinenden trocknen wird, die darauf warten, dass seine Herrschaft die Herrschaft der Herren und die Knechtschaft der Geknechteten beendet. Sie machen mir Mut. Mit ihnen rufe ich, gegen meinen Unglauben und die Hoffnungslosigkeiten in mir und um mich: Komm! Komm bald! Komm, Herr Jesus, komm!
Bischof Franz Kamphaus (†)