Zachäus (31. So. i. J. – Lk 19, 1-10)

Zachäus ist auf dem Baum angekommen. Es ist, als ob sein ganzes Leben auf diesen Augenblick zugelaufen wäre, dieses Leben, aus dem er sich mehr und mehr ein Gewissen machte. Alle Selbstsicherheit ist von ihm abgefallen. Er hat sein Leben vertan, da er auf die falsche Karte setzte, auf Geldgewinn und Reichtum. Nun sitzt er im Geäst des Baumes so, als wolle er sich wie Adam und Eva vor Gott verstecken. Als Kollaborateur der verhassten Besatzer, der Römer, ist er von seinen eigenen Landsleuten geächtet. Auch deshalb sucht er im Geäst des Baumes Schutz vor ihren bösen Blicken.

Aber da ist auch ein Funken von Sehnsucht und Hoffnung, das noch etwas Einmaliges und Unerwartetes in seinem Leben aufbrechen könnte. Ja, wenigstens einen Blick will Zachäus auf Jesus erhaschen. Das ist noch weniger, als den Saum seines Gewandes zu berühren. Und da steht Jesus schon unter seinem Baum, schaut zu ihm hinauf, schaut ihn an mit seinen unendlichen gütigen Augen. Und Zachäus spürt, dass er, so wie ihm zumute ist, bis auf den Seelengrund verstanden und geliebt ist. Nein, es sind keine Vorleistungen zu erbringen. Nur vom Baum muss er herabsteigen – wieder auf festen Grund.

Indem Jesus ihn ansieht und sich ihm zuwendet, hat Zachäus ein neues Ansehen gewonnen, und das ermutigt ihn, den Rabbi, bei sich einzuladen. Wie selbstverständlich gelingt ihm die Umkehr zu einem neuen, befreiten Leben.

Karlheinz May, Vom Duft der Auferstehung. Die vier Evangelien in Auszügen. Bernardus Verlag, Aachen 2009.

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