Wer nicht lieben will, wird hassen (7. So. i. J., Lk 6, 27–38)

Der Titel mag zunächst befremden, doch er scheint mir auf die Sinnspitze der Bergpredigt zu zielen. Was das steht, kann auf den ersten Blick wie ein Zumutung oder Übertreibung erscheinen: „Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Auge für Auge und Zahn für Zahn. Ich aber sage euch: Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halte ihm auch die andere hin. Und wenn dich einer vor Gericht bringen will, um dir das Hemd zu nehmen, dann lass ihm auch den Mantel… Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Söhne eures Vaters im Himmel werdet; denn er lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten, und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte“ (Matthäus 5,38-45).

Eine solche Liebe ist riskant; sie hat einen hohen Preis. Bei Jesus, und nicht nur bei ihm, am Ende selbst den Preis des Lebens.

Die Überschrift lehnt sich an einen Buchtitel des bekannten Psychoanalytikers Horst Eberhard Richter an: „Wer nicht leiden will, muss hassen.“ Leiden ist häufig der Preis der Liebe, denn sie macht berührbar und verletzlich.

Umgekehrt gilt: Wer nicht hassen will – und wer wollte das?! – muss sich für die Liebe entscheiden – mit allen Konsequenzen. Er muss wissen, dass Liebe verletzlich macht, dass sie wehtun kann. Doch diese Ohnmacht ist ihre Kraft. „Das Böse erleiden ist die einzige Möglichkeit, es zu zerstören“, meint Simone Weil. Von Jesus heißt es: „Da er die Seinen, die in der Welt waren, liebte, erwies er ihnen seine Liebe bis zur Vollendung“ (Johannes 13,1). Bis zum Äußersten…

Glaube ich an die verwandelnde Macht der Liebe? Halte ich an ihr fest, wenn es unbequem wird?

Aus: Gerhard Bauer, Leben heißt Lieben: Drei Minuten-Impulse, München 2014.

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