Über die Fähigkeit zur Liebe (30. So. i. J. – Mt 22, 34-40)

Die Fähigkeit zur Liebe ist grenzenlos, bei jedem von uns. Doch manchmal kommen wir ihretwegen ganz durcheinander und glauben, wir hätten nur ein bestimmtes Maß an Liebe zu geben. Wir denken, die Liebe sei eine Art Spiel oder Wettbewerb, bei dem der Gewinn für den einen zwangsläufig zu einem entsprechenden Verlust für den anderen führt. Wir glauben, nur ein bestimmtes Maß an Liebe zu besitzen – so dass wir also, wenn wir etwas davon hergeben, selbst um genau so viel weniger haben. Wir fangen an, unsere Liebe aufzuteilen – genauso wie das Geld, mit dem wir am Ende des Monats die Rechnungen bezahlen. Wir kommen all unseren „Liebes-Verpflichtungen“ nach und versuchen, ein bisschen Liebe zur Seite zu tun und zu sparen – für den Notfall.

Kontrollierte Liebe ist keine Liebe. Liebe aus Pflicht ist keine Liebe. Wahre Liebe für andere entströmt jener tiefen Liebe, die wir für uns selbst empfinden. Es ist nicht möglich, einen Menschen zu lieben, wenn wir uns selbst weder kennen noch lieben. Wenn wir uns wirklich selbst lieben, kennt die Liebe, die wir geben können, keine Grenzen. Doch immer gilt: Liebe lässt sich nicht künstlich erzeugen, nur weil wir etwas dafür bekommen sollten oder müssen oder wollen. Die Liebe ist eine Kraft, die wir mit anderen teilen können, weil wir selbst sie haben.

Aus: Anne Wilson Schaef, Nimm dir Zeit für dich selbst. Tägliche Meditationen für Frauen, die zuviel arbeiten. Ins Deutsche übertragen von Gabriel Stein. Wilhelm Heyne Verlag, München 1992.

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