Versuchung (1. Fastensonntag – Mt 4, 1-11)

Darf ich die drei Akte der Versuchung in eins setzen? Dann würde die Geste des Teufels bedeuten: „Du, der du von oben kommst, wie willst du bei denen da unten ankommen? Ich räume das Feld, wenn du auf meinen Vorschlag eingehst.“ Ja wahrhaftig, Jesus scheint zu erschrecken über die gewaltige Aufgabe, die vor ihm liegt; er erschrickt über die Dreistigkeit des Versuchers. Seine Hände greifen zum Kopf, wie zur Abwehr einer Bedrohung. Wie soll er den Menschen „das Wort aus Gottes Mund“ sagen, das erlösende, befreiende Wort, wie soll er ihnen „das Brot des Lebens“ reichen, wenn ihre Erlösungsbedürftigkeit einzig in der Magengegend zu liegen scheint?

Jesus lässt sich von seinem Auftrag nicht abbringen. Er geht von allem Anfang an den unteren Weg, den Weg der Erniedrigung und des Gehorsams. Er, der ganz Heilige, erniedrigt sich gar so sehr, dass er den teuflischen Versucher an sich heranlässt. Der Teufel selbst, so marionettenhaft er ist, „der Affe Gottes“, bleibt eine von Gott gelenkte Figur. Er wird an kurzer Leine geführt.

Jesus geht aus der Versuchung als Sieger hervor. Ein programmatischer Sieg, in dem der totale Sieg über das Böse und den Bösen schon angesagt ist und aufleuchtet.

Die Apostel mögen mit dieser Versuchungsgeschichte, einem Gleichnis sozusagen, ihren Gemeinden, die von innen und außen bedroht waren, gedeutet haben: Die Macht des Bösen ist durch Jesus radikal, d. h. von der Wurzel her, bereits gebrochen. Dennoch bleibt auch der Jünger Jesu der Versuchung zum Abfall ausgesetzt. Es bleibt uns die Bitte des Vaterunsers – wie sie richtig zu verstehen ist:
„Und lass uns nicht in der Versuchung fallen.“

Aus: Karlheinz May, Vom Duft der Auferstehung. Die vier Evangelien in Auszügen mit Meditationen, kommentierenden Texten und Zeichnungen. Im Eigenverlag (Holsteinstr 1, D-51065 Köln)

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