Tschad: Das „Zelt Abrahams“ für den interreligiösen Dialog

Tschad: Das „Zelt Abrahams“ für den interreligiösen Dialog

Das „Zelt Abrahams“, ein dreistöckiges Kulturzentrum der Comboni-Missionare in N’Djamena (Tschad), verfolgt seit 2006 verschiedene Wege des interreligiösen Dialogs. „Hier studieren junge Menschen, leben gemeinsam ihren Alltag und entwerfen eine andere Vorstellung von der Zukunft“, sagt der Leiter des „Zeltes Abrahams“, Hugues Lakoein, ein studierter Jurist und seit 2015 Leiter der Einrichtung.

Die Avenue Ngardoum ist eine viel befahrene Straße im Zentrum von N’Djamena. Der mit Sand bedeckte Asphalt wird zu jeder Tageszeit von Autos, Kleinbussen und Clandos, den Motorradtaxis, die überall durch die Straßen der Hauptstadt des Tschad rasen, überquert. Einige Blocks vor der Avenue N’Garta Tombalbaye, die nach dem ersten Präsidenten nach der Unabhängigkeit benannt ist und die die vom Flughafen Ankommenden empfängt und dann das Herz der Stadt in zwei Hälften teilt, biegen wir rechts ab und nehmen eine breite Straße, auf der die Geräusche des Verkehrs vom Sand gedämpft werden; kleine Läden verkaufen Getränke vor einem Gebrauchtwagenhändler, während sich ein paar Leute unterhalten und auf Teppichen am Straßenrand ausruhen.

Hier befindet sich das „Zelt Abrahams“, ein dreistöckiges Kulturzentrum, zu dem man Zugang hat, sobald man die Schwelle zum Sitz der Comboni-Missionare im Tschad überschreitet. Die Ordensleute eröffneten diesen Ort 2006 mit dem Ziel, einen Studienraum für Gymnasiasten und Studenten zu schaffen und vor allem den interreligiösen Dialog zu fördern. Das „Zelt Abrahams“ist in der Tat eine Absichtserklärung in dieser Hinsicht. Das Kulturzentrum befindet sich – wie auch das Haus der Comboni-Missionare – im Herzen von Am-Riguebe, einem der alten Viertel von N’Djamena, das überwiegend von Menschen muslimischen Glaubens bewohnt wird.

Kein zufälliger Ort

In dem Teil der Hauptstadt, der sich von der bereits erwähnten Avenue Tombalbaye bis zur ebenso zentralen Avenue Charles de Gaulle erstreckt, ist das Viertel mit Moscheen übersät. Mindestens vier davon befinden sich in der unmittelbaren Umgebung des „Zeltes Abrahams“. Der Gesang des Muezzins, der zum Gebet ruft, ist vielleicht der vertrauteste Klang, der die Tage derjenigen begleitet, die diesen Ort besuchen.

Die Wahl dieses Ortes als Sitz der Comboni-Missionare vor fast zwanzig Jahren war eine Geste der Offenheit und gleichzeitig eine Wette auf den Dialog seitens des damaligen Bischofs von N’Djamena, Monsignore Charles Vandame. „Das Zelt Abrahams ist ein einzigartiger Ort. Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund kommen hierher, um ihre Zeit zu verbringen und das Leben zu genießen: Muslime, Christen, Weiße, Schwarze“. Mahamat Maouloud Djibrine ist begeistert, als er mit Nigrizia über die Bedeutung der Einrichtung spricht.

Der siebenundzwanzigjährige Djibrine, der ursprünglich aus N’Djamena stammt, ist einer der vielen Muslime, die regelmäßig das Zentrum besuchen, wo er auch Englisch unterrichtet. Eine Tätigkeit, die er auch auf seinem eigenen TikTok-Kanal ausübt. Für den jungen Lehrer ist das „Zelt Abrahams“ ein Bezugspunkt für die Bewohner der Gegend. Das war jedoch nicht immer so. Die Geschichte des Zeltes verheißt Gutes für die Zukunft des Tschad und die Aufrechterhaltung des Grundsatzes des interreligiösen friedlichen Zusammenlebens, den sich der tschadische Staat als offizielles Ziel gesetzt hat, aber sie bringt auch die Komplexität der Gegenwart und Vergangenheit des Landes mit sich. Eine Vergangenheit, die von großer Instabilität und einem Bürgerkrieg geprägt war, der etwa 15 Jahre lang, bis Ende der 1970er Jahre, andauerte und der auch religiöse Obertöne hatte.

Der Weg zum Zelt

Nigrizia sprach mit Direktor Hugues Lakoein über den Weg zum Zelt. Der studierte Jurist ist seit 2015 für die Struktur verantwortlich. In einem großen Konferenzraum im ersten Stock mit Blick auf einen Innenhof, in einem eleganten grauen Anzug mit koreanischem Hemd und mit ruhiger Ausstrahlung, blickt der Leiter aus die Ursprünge dieses Zentrums zurück. „Das Zelt wurde 2006 gegründet und wollte schon mit seinem Namen die Idee vermitteln, dass es nicht nur einer Religion vorbehalten ist. Abraham ist der Patriarch für die Gläubigen der drei großen monotheistischen Religionen, die genau als abrahamitisch definiert sind: Er ist nicht christlich, nicht muslimisch, nicht jüdisch. Er gehört zu all diesen Traditionen“. Trotz der Allgemeingültigkeit des gewählten Namens wurde der Raum nicht gleich von vielen Menschen in der Nachbarschaft frequentiert. „Viele Leute hielten das Zentrum für eine Kirche, weshalb muslimische Gläubige es eher mieden“, erklärt Laokein.

„Nur wenige Katholiken leben in der Gegend, die meisten Gläubigen, die das Zelt besuchen, kamen und kommen aus anderen Pfarreien, wie der von Mardjane Daffac“, die sich etwa drei Kilometer entfernt in Richtung Flughafen im gleichnamigen Viertel befindet. Aber es gab auch Phasen, in denen das Misstrauen stärker ausgeprägt war. „Mehrere Jahre lang“, berichtet der Direktor, „bis einige Jahre vor meiner Ankunft, gab es Episoden von Intoleranz und sogar Gewalt: Es kam vor, dass Mädchen, die in Jeans oder westlicher Kleidung hierher kamen, mit Worten wie ‚Prostituierte‘ beleidigt oder sogar mit Steinen beworfen wurden“.

Gemeinsam

Wie wurde aus einem Ort, der fast als „Affront“ im Herzen eines muslimischen Viertels angesehen wurde, ein Wahrzeichen für die Gemeinschaft? Einer der wichtigsten Schritte bestand darin, den spontanen interreligiösen Dialog zu ermöglichen, indem gemeinsame Räume zur Verfügung gestellt wurden, zu denen man nur Zugang hatte, wenn man eine Karte besaß. „Eine der ersten Aktivitäten, die wir ins Leben gerufen haben“, erinnert sich Laokein, „war die Bibliothek, die wir im Laufe der Jahre mit weiteren Bänden ergänzt haben und die heute von Schülern der Gymnasien und Studenten der beiden größten Universitäten des Landes, der König-Faysal-Muslimischen Universität und der öffentlichen und säkularen Universität des Tschad, besucht wird“.

Das „Zelt Abrahams“ verfügt auch über Studienräume, und die Bibliothek organisiert Konferenzen und Debatten. In den letzten Wochen gab es ein Treffen über die Rolle der Frauen in der Politik des „friedlichen Zusammenlebens“ und ein weiteres über Gewalt und Dialog auf politischer Ebene. Laokein sagt nun, dass die Menschen aus vielen verschiedenen Gründen ins „Zelt Abrahams“ kommen, von der Mitwirkung an einer kulturellen Initiative über die Teilnahme an einem Kurs bis hin zum einfachen Lesen und Studieren.

Es gibt auch spezielle Programme für Schulen. Der Direktor erklärt: „Wir zeigen Filme, die den Lehrplan der Schulen ergänzen, wir zeigen sie Jungen und Mädchen, damit sie die Themen, die sie lernen, auch auf andere Weise erkunden können“. Beiträge zum Lernen und zur Kultur im Allgemeinen sind in einem Land, in dem jedes vierte Kind nicht einmal die Grundschule besucht (bei den Mädchen ist es sogar jedes dritte) und in dem die Alphabetisierungsrate laut UNESCO und Weltbank bei etwa 22 % liegt, von nicht geringer Bedeutung.

Die soziokulturelle Komponente ist eine der wichtigsten für das „Zelt Abrahams“, und die gemeinsame Nutzung eines Raums, in dem sie entwickelt werden kann, trägt natürlich zum Dialog bei. Alle Aktivitäten werden von den Comboni-Missionaren und ihren Spendern finanziert, die Einrichtung erhält keine staatlichen Mittel. Dies gilt auch für die Aktivitäten, die speziell darauf abzielen, die Annäherung zwischen den verschiedenen religiösen Traditionen zu fördern.

Unter diesem Gesichtspunkt ist es sinnvoll, zunächst den Kontext des Landes zu verstehen. Die tschadische Bevölkerung von fast 18 Millionen Menschen ist zu etwa 55 % muslimisch, die meisten von ihnen gehören Sufi-Bruderschaften an, während die Christen etwa 40 % ausmachen: etwas mehr als die Hälfte sind Protestanten, der Rest Katholiken. Interreligiöse Spannungen haben zu den Konflikten beigetragen, die das Land geprägt haben, und tragen auch heute noch zu den Auseinandersetzungen zwischen den Gemeinschaften bei, die nicht selten zu Gewalt führen, insbesondere zwischen nomadischen Hirten und Bauern.

Hinzu kommen die Aktivitäten islamisch-extremistischer Milizen im Land, wie die der Miliz Boko Haram, die aus Nigeria stammt, aber auch im Tschadseegebiet, einige Kilometer nördlich von N’Djamena, aktiv ist. Die Geschichte der Comboni-Mission in der Hauptstadt zeugt auch von einigen der Spaltungen, die die soziale Struktur des Landes prägen. Die Tätigkeit der Ordensleute begann nämlich in den südlichen Provinzen, wo die meisten christlichen Gläubigen lebten, und verlagerte sich erst später nach N’Djamena, obwohl dies die wichtigste Stadt ist.

„Heute“, nimmt Laokein den Faden auf, „veranstalten wir Treffen, bei denen wir über die zentralen Themen der verschiedenen Religionen und auch über die Gemeinsamkeiten zwischen den unterschiedlichen Traditionen sprechen, ich denke zum Beispiel an die Rolle Marias, Mariam für die Muslime. Oder an den Unterschied zwischen Fastenzeit und Ramadan, die dieses Jahr auf dieselben Tage fielen. Wir brauchen so viele Elemente wie möglich, um uns gegenseitig zu verstehen“, fügt er hinzu.

Die Plattform für den interreligiösen Dialog

Das Engagement für den Dialog hat auch eine institutionelle Dimension. Seit 2008 gibt es im Tschad eine Plattform für den interreligiösen Dialog, an der Vertreter der Bischofskonferenz, des Obersten Rates für islamische Angelegenheiten und der evangelischen Kirchen teilnehmen. Ziel ist es, die Idee des „friedlichen Zusammenlebens“ und der „Gemeinsamkeit“ voranzutreiben, die allen institutionellen Programmen zugrunde liegt, die sich mit diesem Thema befassen. „Jedes Jahr treffen sich hier Vertreter konfessioneller Organisationen, um zum Beispiel den jährlichen Brief der Bischöfe zu besprechen“, sagt Laokein im Blick auf ein jährlich von der katholischen Kirche veröffentlichtes Dokument, das oft politisch aufgeladen ist.

Nicht zuletzt eint sie die Wärme des Feierns. „Neben muslimischen Hochzeiten“, bestätigt der Direktor, „finden hier jedes Jahr auch Weihnachten und Eid al-Fitr, der letzte Tag des Ramadan, statt. Gläubige beider Religionen nehmen mit Freude daran teil, und diese Veranstaltungen werden immer von allen genossen“. Eine festliche Atmosphäre, die eine Alternative zu Gewalt oder Spannungen darstellt und die einmal mehr die Bedeutung eines Ortes wie des „Zeltes Abrahams“erklärt.

In den Sälen und Innenhöfen dieses Ortes bewirken junge Menschen jeden Tag Veränderungen, oft auch im Gegensatz zur Politik, „die dazu neigt, Unterschiede zu instrumentalisieren“, prangert Laokein an. Aber die Zukunft liegt bereits in den Worten der Jugendlichen, die in das Zelt kommen, schließt der Direktor: „Es gibt abwertende Begriffe, die im Tschad traditionell für Menschen aus dem Süden oder dem Norden verwendet werden, lebende Beweise des Misstrauens. Die jungen Leute, die hierher kommen, denken gar nicht daran, sie zu benutzen, sie essen, lernen und erleben wichtige Momente gemeinsam. In ihren Köpfen haben sie bereits bestimmte Vorstellungen von der Vergangenheit überwunden.

Brando Ricci, Nigrizia

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